Man muss die Charaktere von der Leine lassen, auch wenn's manchmal schwerfällt. Nur so können sie ein Eigenleben entwickeln. Und das gibt mir beim Schreiben ein berauschendes Gefühl.
Ganz besonder merke ich das zurzeit bei Jan und Lisa, die in ihrem neuen Fall TATTOO ermittelt haben. Zurzeit lese ich den kompletten Krimi in kurzen Episoden für meine Fans auf Facebook ein und deshalb durchlebe ich alles, was ich geschrieben habe, noch einmal. In der Regel lese ich meine Krimis nämlich nicht noch einmal, wenn sie veröffentlicht wurden. Das würde keinen Sinn machen und außerdem bin ich in der Regel ja schon immer mit dem nächsten Fall für ein anderes Ermittlerteam beschäftigt.
Jan und Lisa also. Der erste Krimi Killerfee erschien Ende 2014, da war Lisa noch gar nicht dabei und Jan kam als Polizeifrischling zu einer Sonderkommission nach Norderney. Da war er noch ein ziemlicher Casanova, der nichts anbrennen ließ. Wenn ich daran zurückdenke, da wundere ich mich manchmal selber, was in den weiteren Jahren bis heute mit ihm geschehen ist. Mittlerweile will er eigentlich niemanden mehr sehen und lebt in einem verlassenen alten Hof in Tannenhausen. Und auch Lisa, die seit dem zweiten Fall "Todesspiel am Großen Meer" an seiner Seite ermittelt, wohnt auch seit einigen Krimis dort bei ihm. Wenn ich Lisas Charakter rekapituliere, dann ist sie zunächst vom grauen Mäuschen, das Jan mächtig bewundert hat über eine echt taffe Ermittlerin, zu der sie sich entwickelte, mittlerweile zu einer eher zögerlich ängstlichen Person geworden.
Und das ist alles im Laufe der Jahre passiert, einfach so, ohne dass es ein groß angelegter Plan von mir gewesen wäre. Sie entwickeln während des Schreibprozesses eine Eigendynamik und entwickeln ihre Persönlichkeiten weiter aus. Und ich denke, so etwas kann man gar nicht planen, es passiert einfach. Das ist doch bei uns im Leben genauso. Wir erleben Situationen, die uns ins Grübeln oder Wanken bringen, wir schlagen andere Richtungen ein, tun Dinge, wo andere sagen würden "das hätte ich jetzt nicht von ihr oder ihm erwartet". Das liegt daran, weil der Außenstehende ja nicht wissen kann, was in einem selber abgeht. Er behält weiterhin sein Bild von uns, das er sich einmal gemacht hat und ist dann erstaunt, enttäuscht oder wer weiß, vielleicht manchmal auch angenehm überrascht.
Und so wird es auch meinen Lesern gehen. Einige werden denken, Mensch, was ist denn mit Lisa los? Wieso lässt sie sich von Jan so herunterziehen? Und auch hier kann ich nur wieder sagen, dass es überhaupt nicht mein Plan war. Es hat sich einfach so ergeben, dass sie in einer emotionalen Sackgasse steckt. Und ja, ich hoffe wirklich für sie, dass sie da wieder herausfindet. Und Jan? Er ist ein sehr schwermütiger Mensch und hat, so scheint es mir, seine innere Mitte verloren. Und so sind beide, Jan und Lisa, zurzeit in einem psychischen Loch gefangen, vielleicht geraten sie auch immer weiter in diesen Abwärtsstrudel, weil sie sich so aneinander klammern. Und ja, ich bin wirklich gespannt, wie es sich mit und zwischen den beiden im nächsten Krimi entwickeln wird. Denn noch weiß ich nicht, wohin die Reise geht.
Man muss die Charaktere von der Leine lassen ... auch, wenn es einen manchmal selber ins Grübeln bringt, wie sie sich verhalten. Das ist das Schöne für mich am Schreiben, dass ich weiß, dass alles möglich ist. Wüsste ich heute schon, wie die Story um Jan und Lisa in vielleicht drei oder vier Jahren enden wird, dann hätte ich gar keine Lust mehr, Krimis mit ihnen zu schreiben.
Eure Moa Graven